Darüber haben wir mit Dr. Stefan Pollmächer gesprochen, für den seine Tätigkeit als Schiffsarzt zu den schönsten Dingen der Welt gehört.
Ihren letzten Einsatz hatten Sie im Frühherbst auf der Sea Cloud. Was für ein Schiff ist das?
Dr. Stefan Pollmächer: Die Sea Cloud ist ein Luxuskreuzfahrtsegelschiff, das 1931 im Auftrag eines US-amerikanischen Multimillionärs als die damals größte und prunkvollste Privatsegelyacht der Welt gebaut wurde. Nach einer wechselvollen Geschichte und kurz vor dem Abwracken, wurde sie ab 1978 restauriert. Die wunderschöne Inneneinrichtung und der Kabinenausbau sind noch originalgetreu erhalten. Das gilt auch für den Behandlungsraum, der heute natürlich mit modernen technischen Geräten, die für die Allgemeinmedizin und kleinere chirurgische Eingriffe notwendig sind, ausgestattet ist.

Wie kann man sich Ihren Alltag als Arzt auf der Sea Cloud vorstellen?
Dr. Stefan Pollmächer: Einen typischen Alltag gibt es auf dem Schiff nicht, jeder Tag ist ein wenig anders. Ein Beispiel: Bei unserem Segeltrip im September sind wir im Ägäischen Meer zwischen den griechischen Inseln, wie Kreta, dem Peloponnes und den Kykladen gesegelt. Vormittags habe ich die Passagiere bei ihren Landgängen begleitet. Nachmittags konnten mich die 40 Gäste und 60 Mitglieder der Besatzung dann in meiner Sprechstunde aufsuchen. Die Diagnosen betrafen das ganze Spektrum der Allgemeinmedizin, aber aufgrund des Windes waren vor allem Erkältungen, Ohren- und Bindehautentzündungen an der Tagesordnung. Und ab Windstärke 5-6 hatte der ein oder andere auch mit Seekrankheit zu kämpfen. Eine Sondertätigkeit, die ich in meinen Alltag als Schiffsarzt normalerweise nicht mache, war die regelmäßige Durchführung von Corona-Tests, auch während des Törns. Bei den 100 mitreisenden Personen war ich damit relativ viel beschäftigt.

Wie kam es bei Ihnen dazu, Schiffsarzt zu werden und wie oft sind Sie im Einsatz?
Dr. Stefan Pollmächer: Ich bin in meinem Leben generell viel gereist, weil ich das liebe. Die Tätigkeit als Schiffsarzt ist für mich die schönste Möglichkeit, die Welt kennen zu lernen. Mittlerweile mache ich das seit sechs Jahren. Normalerweise habe ich rund vier bis fünf Einsätze pro Jahr, die zwischen 14 Tagen und acht Wochen dauern. Meine nächste Reise ist auch schon geplant: Im Dezember werde ich noch mal auf der Sea Cloud mit dabei sein. Der dreiwöchige Törn findet dann in der Karibik statt.
Heuern Sie immer auf Hochseekreuzfahrtschiffen an?
Dr. Stefan Pollmächer: Normalerweise ja, aber in letzter Zeit habe ich auch an Flusskreuzfahrten teilgenommen. Früher war für diese Reisen, außer auf langen Donaufahrten, z. B. von Passau zum Schwarzen Meer und zurück, keine ärztliche Begleitung erforderlich. Aber jetzt in Pandemiezeiten sind einige Flussreedereien dazu übergegangen, sicherheitshalber eine Ärztin oder einen Arzt mit an Bord zu nehmen. Ich selbst habe auch an einer Donaukreuzfahrt teilgenommen und hatte dabei sehr nette Begegnungen mit der ukrainischen Besatzung, die froh war, dass endlich mal ein Arzt da war, den sie mit allen möglichen Fragen löchern konnte.
Waren Sie neben Hochsee- und Flusskreuzfahrten noch auf anderen Einsätzen?
Dr. Stefan Pollmächer: Eine Besonderheit sind Schiffe, die nicht fahren, sondern im Hafen liegen. Der Hintergrund ist: Ein Schiff braucht ab einer bestimmten Besatzungsgröße einen Arzt. Und selbst wenn ein Schiff im Hafen liegt, muss es ständig in Betrieb sein und gewartet werden. Während Corona sind zwar viele Schiffe nicht mit Passagieren gefahren, hatten aber trotzdem eine, wenn auch reduzierte, Besatzung an Bord. Ich hatte mehrere Einsätze im Hamburger Hafen. Die Reederei, für die ich tätig war, hat eines ihrer Schiffe zu einem Quarantäneschiff bestimmt. Seeleute, die aus dem Urlaub in ihrem Heimatland zurückkamen, mussten dort zunächst eine Woche verbringen, bei der sie noch zweimal getestet wurden. Erst wenn ganz sicher war, dass sie nicht infiziert waren, wurden sie zu ihren Einsätzen gebracht. Generell ist auf im Hafen liegenden Schiffen aber medizinisch weniger zu tun, weil Unfälle bei der Besatzung vor allem durch die Schiffsbewegungen während der Fahrt entstehen.

Über Dr. Stefan Pollmächer
Dr. Stefan Pollmächer, ausgebildeter Allgemeinmediziner und Psychotherapeut, ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Er studierte in Düsseldorf, Marburg und London und führte anschließend rund 25 Jahre eine Kassenarztpraxis in Kassel, die er vor zwei Jahren übergab. Seitdem kann er sich ganz seiner Leidenschaft fürs Reisen, die See und die Schifffahrt widmen.
Welche Herausforderungen haben Sie als Schiffsarzt?
Dr. Stefan Pollmächer: Man ist immer auf sich alleine gestellt – und das mit den beschränkten Mitteln, die das Bordhospital bietet. Die Herausforderung besteht darin, gesundheitliche Beschwerden oder Krankheiten vor Ort zu lösen. Dafür ist ein gewisses Improvisationstalent erforderlich. Wenn es schwerwiegendere medizinische Probleme gibt, muss man die Patientinnen und Patienten so weit stabilisieren, dass sie es bis zum nächsten Hafen schaffen, bzw. dass sie per Hubschrauber oder mit seegebundenen Hilfsmitteln evakuiert werden können. Anders als in einer normalen Praxis, ist es durch die Schiffsbewegungen und die Motorgeräusche auch nie richtig leise und ruhig.
Welches Erlebnis von Ihren vielen Schiffsfahrten ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Dr. Stefan Pollmächer: Wer zur See fährt, hat immer etwas zu erzählen, nicht umsonst gibt es die Redewendung „Seemannsgarn spinnen“ und die vielen Abenteuer sind es, die die Tätigkeit als Schiffsarzt so reizvoll machen. Woran ich mich noch eindrücklich erinnere, war ein Passagier, der plötzlich kollabierte. Vom klinischen Bild her war es ziemlich dramatisch und alles deutete auf eine Lungenembolie hin. Es stellte sich aber heraus, dass es eine allergische Reaktion war, die an Bord gut behandelt werden konnte. Am nächsten Tag war der Patient wieder fit. Was steckte dahinter? Er hatte eine allergische Reaktion auf Knoblauch, was sehr selten ist. Wenn es eine Lungenembolie gewesen wäre, hätte er evakuiert werden müssen. Da kommt ein weiterer Aspekt der Tätigkeit an Bord mit dazu, denn alle medizinischen Handlungen, die risikobehaftet sind, müssen sofort mit dem Kapitän besprochen werden, vor allem, wenn sie die Schiffsführung tangieren. Dabei gilt bei solchen Entscheidungen: Das letzte Wort hat immer der Kapitän.
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Ist eine Evakuierung für erkrankte oder verletzte Passagiere immer die beste Lösung?
Dr. Stefan Pollmächer: Das kann man nicht pauschal sagen, jeder Fall muss differenziert betrachtet werden. Generell gibt es mehrere Möglichkeiten, zu reagieren. Man kann z. B. den Kurs ändern, „Gas geben“, um schneller an einem Hafen zu sein, oder einen Hubschrauber anfordern. Dabei muss man aber bedenken, dass diese Form des Abtransports sehr belastend sein kann und nicht jedem Verletzten kann man eine Rettung über einen Hubschrauber zumuten. Daher ist es manchmal besser, Patientinnen und Patienten an Bord zu stabilisieren und schnell einen Hafen anzusteuern. Dabei kann der Kapitän wertvolle Hilfestellung leisten, weil er sehr genau weiß, wo ein gut ausgestattetes Krankenhaus zu finden ist.

Sind Sie in schwierigen medizinischen Situationen an Bord alleine?
Dr. Stefan Pollmächer: Als Schiffsarzt liegt die medizinische Verantwortung ganz klar in meinen Händen. Auf größeren Kreuzfahrtschiffen gibt es aber immer ein Medizinteam an Bord, das mir zur Seite steht. In der Regel ist das eine Krankenschwester und vier Mitarbeiter aus der Crew. Das kann ein Matrose sein, ein Barkeeper, oder jemand anderes, aber in der Regel haben diese Personen eine Ausbildung als Rettungssanitäter. Es kann beispielsweise vorkommen, dass ein Passagier bewusstlos in seiner Kabine liegt. Dann trifft sich das ganze Medizinteam vor Ort und bespricht unter anderem, wie die Person am besten in den Behandlungsraum oder das Intensivzimmer transportiert wird. Auf der Sea Cloud hatte ich diesmal kein Medizinteam, dafür hat mich aber mein Sohn unterstützt, der mitgereist ist.
Welche Tipps können Sie jungen Kolleginnen und Kollegen geben, die gerne als Schiffsarzt arbeiten wollen?
Dr. Stefan Pollmächer: Zunächst einmal gibt es einige Voraussetzungen für diese Tätigkeit. So sollte man Allgemeinmediziner, Internist, Chirurg oder Anästhesist sein. Daneben braucht man die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, wobei einige Reedereien auch nur Kenntnisse auf diesem Gebiet verlangen. Was man noch vorweisen muss, ist ein ACLS-Kurs (Advanced Cardiac Life Support), der tiefergehende Kenntnisse im Bereich Reanimation vermittelt. Manche Schifffahrtsgesellschaften verlangen darüber hinaus auch noch einen Nachweis über das PALS-Zertifikat (Pediatric Advanced Life Support) und einen Röntgenschein. Außerdem ist der Befähigungsnachweis im Bereich Schiffssicherheit und die Teilnahme an einem Kurs „Crowd and Crisis Management“ erforderlich, weil auch die Ärztin oder der Arzt an Bord wissen sollte, wie man sich bei nicht medizinischen Notsituationen an Bord verhält. Last but not least ist alle zwei Jahre eine bestandene Seediensttauglichkeitsprüfung vorzuweisen.
Von dem Wunsch, Schiffsarzt zu werden, bis hin zum ersten Einsatz an Bord, sind also einige Hürden zu nehmen und es kann etwas Zeit ins Land gehen. Allen, die sich dafür interessieren, kann ich nur wärmstens empfehlen, an dem Kurs „Maritime Medizin“ der Schiffsarztbörse teilzunehmen. Dort erfährt man alles über maritime-medizinische Besonderheiten und kann sich einen Eindruck davon verschaffen, ob man sich weiter qualifizieren möchte.
Eine letzte Frage: Können Sie bei Kreuzfahrten neben Ihrer Arbeit auch die Annehmlichkeiten genießen?
Dr. Stefan Pollmächer: Ja, das ist es, was die Tätigkeit als Schiffsarzt so attraktiv macht. Wie die Touristen habe ich die Möglichkeit, alle Landausflüge mitzumachen. Im Vorfeld gibt es meistens einen Vortrag, beispielsweise von einem Archäologen oder einer Historikerin, welche die Passagiere dann auch über die Inseln führen. Neben dem „Inselhopping“ ist es aber auch der Törn an sich, der sehr reizvoll ist. Bei Kreuzfahrtsegelschiffen zum Beispiel gehört es für mich zu den schönsten Momenten, den Wind in den Segeln zu spüren, an Deck zu sitzen und Meer und Inseln an sich vorüber ziehen zu lassen. Da ich selber passionierter Segler bin, ist es für mich auch immer wieder interessant zu beobachten, wie der Kapitän mit dem Wind segelt und welchen Kurs er steuert. Zwischendurch gibt es auch Badestopps im offenen Meer, auch das sind wunderbare Erlebnisse. Darüber hinaus spielt gutes Essen bei Kreuzfahrten eine wichtige Rolle. Bei einem Törn auf dem Kreuzfahrtschiff MS Europa, wurde zum Beispiel ein Schwertfisch direkt aus dem Meer gefangen, abends kam er frisch auf den Tisch.
Bildquellen: © Dr. Stefan Pollmächer
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