Mit einer digitalen Plattform Landärzte unterstützen
Wie kam es zur Gründung der Initiative „Landarzt sein“?
Tobias Fleischhut: Meine Brüder Johannes Fleischhut, Nikolas Kindler und ich sind zwar selbst keine Mediziner, aber unser Vater ist Landarzt und betreibt eine eigene Praxis in Nordhessen, die er Mitte der 90er Jahre übernommen hat.
Zwischenzeitlich ist er selbst ins Rentenalter gekommen und hat fast alles versucht, um eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Leider bisher ohne Erfolg. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass unser Vater eben Arzt und kein Marketingfachmann ist. Oft sahen seine Bemühungen so aus, dass er irgendwelche Veranstaltungen besuchte, bei denen 60 ältere Ärzte zwei Medizinstudenten umgarnten. Sowas kann nicht funktionieren.
Meine Brüder und ich haben beruflich alle etwas mit digitalem Marketing zu tun und sind auch technisch versiert. Da war die Idee, Landarztpraxen und Nachfolger über das Internet zusammen zu bringen, recht naheliegend. Wir wollten quasi „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten und mit dem Portal das Eigenmarketing von Landarztpraxen unterstützen.
Es gibt bereits verschiede Praxisbörsen im Internet, die Landärztinnen und Landärzte vermitteln. Was ist bei Ihnen anders?
Tobias Fleischhut: Natürlich haben wir vor der Gründung von „Landarzt sein“ eine Marktrecherche gemacht. Ja, es gibt Konkurrenz, aber die bestehenden Angebote erschienen uns nicht nutzerfreundlich genug, vor allem im Hinblick auf Ärztinnen und Ärzte, die sich für eine Landarzttätigkeit interessieren.
Die wichtigste Frage, auf die wir unseren Internetauftritt ausgerichtet haben, lautet: „Welche Informationen brauche ich, um eine Stelle auf dem Land anzutreten oder eine Landarztpraxis zu übernehmen?“ Unser Lösungsansatz ist zum einen, dass wir Landarztpraxen vollumfänglich und attraktiv präsentieren. Dazu stellen wir alle Eckdaten zur Verfügung, die gebraucht werden. Also beispielsweise Informationen über die Schwerpunkte einer Praxis, die Mitarbeitenden, die Räumlichkeiten und die apparative Ausstattung. Aber darüber hinaus zeigen wir aussagekräftige Fotos von der Praxis und der Belegschaft. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, dass wir ein Video über die Praxis drehen – wir bieten beispielsweise auch Drohnenaufnahmen an, um die Praxisgebäude von oben zu zeigen.
Im Grunde ist es wie bei einem Hauskauf, da möchte man auch nicht die Katze im Sack kaufen, sondern sich über möglichst viele Bilder einen ersten Eindruck verschaffen, um bewerten zu können, worauf man sich einlässt.
Entscheidung für eine Landarztpraxis – die Umgebung spielt eine Rolle
Worauf legen Sie neben der Präsentation der Landarztpraxen noch Wert?
Tobias Fleischhut: Ganz wichtig war uns darüber hinaus aber noch ein zweiter Aspekt: Die Informationen über den Landkreis, die Region. Denn wenn man sich entscheidet, Landärztin oder Landarzt zu werden, geht man ja nicht nur zum Arbeiten in die neue Praxis, sondern zieht dorthin um, oft mit der ganzen Familie. Um diesen Schritt zu wagen, muss man wissen, ob einem „die Gegend liegt“, wie der Wohnungsmarkt dort aussieht, welche Einkaufs- und Betreuungsmöglichkeiten es für die Kinder gibt und was für Freizeitaktivitäten angeboten werden. Das ist vor allem für diejenigen Ärztinnen und Ärzte wichtig, die nicht in ihre alte Heimat zurückziehen, sondern sich ganz neu auf eine Region einlassen.
Auf unserer Internetseite zeigen wir momentan zum Beispiel eine Landarztpraxis mitten auf der schönen Nordseeinsel Pellworm. Neben vielen Daten und Fakten rund um die Praxis, gibt es auch einen kleinen Imagefilm über die Region Nordfriesland und ihre Bewohner. All diese Highlights über die jeweilige Gemeinde und Region können eine Entscheidungshilfe sein.
Last but not least bieten wir auch noch Informationen über mögliche Fördermöglichkeiten an. Interessierte Ärztinnen und Ärzte sollen ein gut geschnürtes Gesamtpaket bekommen.

Über Tobias Fleischhut
Tobias Fleischhut ist Sohn eines Landarztes und gründete mit seinen Brüdern vor knapp zwei Jahren die Initiative „Landarzt sein“. Auf der Plattform werden über das Landarzt-Matching interessierte Ärztinnen und Ärzte mit abzugebenden Landarztpraxen in Kontakt gebracht.
Wie funktioniert Ihr Service für Ärztinnen und Ärzte, die ihre Landarztpraxis abgeben wollen, und für Interessenten konkret?
Tobias Fleischhut: Ärztinnen und Ärzten, die ihre Praxis verkaufen wollen, empfehlen wir, sich auf „Landarzt sein“ für eine geringe Gebühr ein eigenes Profil zu erstellen. Weiterführende Marketingmaterialien wie Fotos und Filme sowie Unterstützung bei Vermarktung und Social Media gibt es gegen Aufpreis.
Medizinerinnen und Mediziner, die mit dem Beruf des Landarztes liebäugeln, sollten sich für unser Praxis-Matching anmelden. Mit Hilfe eines Fragebogens können sie ihre speziellen Wünsche konkretisieren. Beispielsweise in welchen Bundesländern sie arbeiten wollen, wie viele Einwohner der zukünftige Ort mindestens haben sollte oder in welcher Art von Praxis sie arbeiten möchten. Die Angaben speichern wir und senden den Interessenten dann passende Praxisprofile zu. Momentan haben wir 157 Ärztinnen, Ärzte und Medizinstudierende in unserer Datenbank, die sich eine Tätigkeit als Landärztin oder Landarzt vorstellen können.
Landarzt - ein attraktiver Beruf
Apropos vorstellen: Zu welchem Zeitpunkt ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, sich mit dem Thema „Landarzt werden“ auseinander zu setzen?
Tobias Fleischhut: Viele machen das relativ früh, z. B. auch aufgrund der Landarztquote, die immer mehr Bundesländer einführen. Das heißt, wenn sich junge Medizinstudenten dafür entscheiden, nach ihrem Abschluss für 10 Jahre in einer unterversorgten Region auf dem Land zu arbeiten, erhalten sie einen Medizinstudienplatz, den sie sonst aufgrund des Numerus clausus nicht bekommen hätten. Andere haben vielleicht eine Zeit lang in einer Klinik in der Stadt gearbeitet, wollen sich selbständig machen und beschäftigen sich dann mit dem Gedanken einer Tätigkeit als Landarzt – weil sie zurück in ihre alte Heimat möchten oder weil auf dem Land die Lebenshaltungskosten günstiger sind. Es ist also sehr individuell.
Ich persönlich fände es übrigens gut, wenn es verpflichtende Praktika in Landarztpraxen im Studium gäbe, vielleicht innerhalb des praktischen Jahres. So könnten viel mehr Medizinstudentinnen und -studenten direkte Einblicke in diese Tätigkeit gewinnen.
Ist der Landarzt eigentlich immer mit dem Hausarzt gleichzusetzen?
Tobias Fleischut: Mit dem Landarzt ist häufig ein Allgemeinmediziner gemeint, der sich darum kümmert, die Grundversorgung aufrecht zu halten. Aber natürlich werden alle anderen Facharztrichtungen genauso gesucht. Man kann also auch als Orthopäde oder Gynäkologe ein Landarzt sein.
Was ist das Besondere an einer Tätigkeit als Landarzt?
Tobias Fleischhut: Für Patientinnen und Patienten ist man der erste Ansprechpartner. Deshalb gibt es viele Krankheitsbilder, die man sieht, diagnostizieren und behandeln muss. Dadurch hat man aber auch die Chance, eine ganzheitliche Betreuung anzubieten. Die Tätigkeit ist also fachlich sehr herausfordernd, nicht umsonst ist der Hausarzt ja auch ein Facharzt. Anders als oft in der Stadt, baut man zu Patientinnen und Patienten langfristige Bindungen auf und erfährt mitunter viel Dankbarkeit.
Unser Vater zum Beispiel betreut in seiner Praxis Patientinnen und Patienten, die schon zu ihm kamen, als sie selbst noch Kinder waren. Diese Verbundenheit spiegelt sich auch außerhalb der Praxis wider. Egal welches Volksfest oder dörfliche Ereignis stattfindet, man trifft seine Patientinnen und Patienten auch dort und wird von ihnen erkannt und angesprochen, das sollte man mögen. Wer sich totale Anonymität wünscht, ist auf dem Land sicher nicht am richtigen Fleck.
Welche wesentlichen Vor- und Nachteile gibt es?
Tobias Fleischhut: Die gerade genannte enge Eingebundenheit in die dörfliche Gemeinschaft kann man als Vor- oder Nachteil sehen, das ist Typsache. Allerdings darf man das auch nicht so eng sehen. Ist beispielsweise jemand, der sich 20 Autominuten entfernt von einer Stadt im Speckgürtel niederlässt schon ein Landarzt? Das Leben dort ist sicherlich noch mal anders als in einem kleinen 500-Seelen-Ort im Irgendwo. Die Nähe oder weitere Entfernung zur Stadt hat dann natürlich nicht nur Einfluss auf das Sozialleben, sondern auch auf andere Komponenten. Wenn eine Ärztin oder ein Arzt in ein kleines Dorf zieht, profitiert sie oder er von den günstigeren Immobilienpreisen. Auf dem Land in Stadtnähe dürfte dieser Aspekt nicht ganz so zum Tragen kommen.
Abgesehen vom „Drumherum“ ist ein großer Vorteil des Landarztes, dass er, wie schon erwähnt, medizinisch ein sehr großes Behandlungsspektrum hat. Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass Ärztinnen und Ärzte auf dem Land nicht allzu lange auf die Kassenzulassung warten brauchen und meistens den KV-Sitz nicht kaufen müssen. Das ist eine enorme Kostenersparnis. Zudem erhalten Landärztinnen und Landärzte diverse Förderungen von verschiedenen Stellen. Beispielsweise von den jeweiligen Gemeinden und Landkreisen, der Kassenärztlichen Vereinigung, von Banken und sogar von privaten Förderern.
Nachteile aus meiner Sicht können Budgetprobleme mit der Kassenärztlichen Vereinigung sein, da man viele Medikamente verschreibt und Krankheiten therapiert, die in der Stadt gegebenenfalls ein anderer Facharzt übernommen hätte. Schwierig kann es auf dem Land auch werden, medizinische Fachangestellte zu bekommen, aber eigentlich ist das ja bundesweit ein Problem. Was ein Hindernis sein kann, ist der Schritt in die Selbständigkeit, wenn man eine Landarztpraxis übernimmt. Das ist deshalb von Bedeutung, weil Ärztinnen und Ärzte dann gleichzeitig ja auch Unternehmer werden. Wer angestellt bleiben möchte, findet in der Stadt schneller einen Job – obwohl auch auf dem Land vereinzelt Ärztinnen und Ärzte in Anstellung gesucht werden und viele Gemeinden, Krankenhäuser oder private Firmen mittlerweile nachziehen und auch im ländlichen Bereich Medizinische Versorgungszentren hochziehen.
Letztendlich kann ich eine Tätigkeit als Landärztin oder Landarzt aber nur empfehlen – wenn man der Typ dafür ist und auch die Rahmenbedingungen, wie ein dörfliches Miteinander, zu schätzen weiß.
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Bildquelle: © getty images/DaLiu
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